Geiger am Bau #13: Tauffenster Apostelkirche Stockdorf, 1960
On 20. Mai 2021 by MariaEin Beitrag von Franziska Straubinger
1960 erhält Rupprecht Geiger seinen zweiten Auftrag für ein Werk im öffentlichen Raum, diesmal in der Apostelkirche in Stockdorf bei München. Für die Wand über dem Taufbecken entwirft er ein Tauffenster, das in der Technik des Glasklebebildes hergestellt ist: auf einer 144 x 144 cm großen neutralen Spiegelglasscheibe sind in mehreren horizontalen Reihen farbige Glasstücke aufgeklebt. Diese Glasfragmente sind allesamt unterschiedlich groß und bilden als Ganzes eine Quadratform.
Was in diesem Werk besticht, ist die Farbe: die einzelnen Glasreihen verlaufen von oben nach unten von einem erfrischenden Türkisblau in einen elektrisierenden Kobaltton und münden schließlich in ein tiefes Nachtblau. Das dahinter liegende Außenfenster bringt das Werk mit Tageslicht über den Tag hinweg zum Leuchten. Nur die letzte Reihe des dunklen Blaus im unteren Bereich wird gerade so nicht vom Tageslicht durchbrochen und bleibt dadurch opak und dunkel. So hat Geiger auch in diesem Medium eines seiner wichtigsten gestalterischen Mittel – die Modulation – eingesetzt.
Der sanfte, meditative Blauübergang wird unten von einem rechts eingesetzten karmesinroten Querrechteck aufgebrochen. Wie ein plötzlicher Klang wird der Fokus auf das sich vom Blau absetzende Rot gelenkt. Das Motiv dieses Glasklebebilds findet auch bei Gemälden aus dieser Zeit Anklänge. So z.B. bei OE 275 (WV 231), ein Ölgemälde aus dem Jahr 1958 bei dem die Farbgebung genau umgekehrt ist: ein von hell nach dunkel moduliertes Rotfeld wird von einem blauen Querrechteck durchkreuzt.
Durch Abstandhalter aus Plexiglas „schwebt“ das Glasklebebild in Stockdorf nahezu über der Lichtquelle und löst sich damit von der Wand ab, in Richtung des Betrachters.
Bei der seitlichen Betrachtung des Werkes setzt sich die rote Fläche von der restlichen ab: deutlich erhabener ragt das rote Glas über dem blauen hervor. In diesem Winkel wird auch die Reliefstruktur des Objekts offenbar: manche Teile sind glatt, andere wie aus einem größeren Stück abgebrochen. Fast als würden sie Fossilien aus vergangenen Zeiten beherbergen. An der unterschiedlichen Beschaffenheit des Glases bricht sich das Licht anders, was letztendlich auch die Gesamtwirkung beeinflusst.
Die blaue Farbe des Werkes und dessen verschiedene Farbabstufungen ruft vielleicht die Assoziation an ein Wasserufer hervor. Dies könnte etwa auch auf den Kontext des Standorts vor einem Taufbecken Bezug nehmen.
Das Tauffenster ist zwar das erste Werk Geigers, das für einen religiösen Kontext entstand, aber keineswegs das letzte: elf Jahre später entsteht 1971 das 600 x 654 cm große Gerundetes Rot (Roter Punkt) für die Apsis der St. Ludwigskirche in Ibbenbüren. 1999 entsteht das Werk Kreuz (WV 887), das über dem Tympanon des Freisinger Doms hing, und schließlich die Fahnen Morgen Rot Abend Rot in der Spitalkirche Heiliggeist in Landshut im Jahr 2000.
Mit dem Material Glas, welches durch seine Lichtdurchlässigkeit und materielle Beschaffenheit besticht, arbeitet Rupprecht Geiger bereits schon 1952 im Rahmen eines Privatauftrags und es entstehen im Laufe der 1960er Jahre zwei weitere Glasklebebilder im öffentlichen Raum: im Eingangsbereich des Neubaus für Maschinenwesen in der Technischen Universität München sowie in der Eingangshalle der Hauptschule Uellendahl-Röttgen in Wuppertal.
Geiger formuliert früh in seinem Schaffen das Ziel, Farbe isolieren zu wollen, um sie dem Betrachter erfahrbar zu machen. Dieser stille Moment des Sehens oder gar der Erkenntnis, konnte – wie im Falle von Stockdorf – im sakralen Kontext nähergebracht werden: der Mensch tritt über eine Schwelle an einen Ort des inneren Rückzugs und wird dort von der Reinheit und Kraft der Farbe eingenommen.
TECHNISCHE ANGABEN
Technik: Glasklebebild
Format: 144 x 144 cm
Auftraggeber: Kirchengemeinde Gauting
Architekten: Jakob Semmler / Jakob Haider
Zitierweise: Straubinger, Franziska: Geiger am Bau #13: Tauffenster Apostelkirche Stockdorf, 1960 [20.05.2021], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ)
Titelbild: Andreas Pauly, München
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