Impressionen #12: Rupprecht Geiger im Zentralinstitut für Kunstgeschichte
On 1. Juni 2015 by ArchivHier ein schöner Beitrag unserer Praktikantin Sarah Massumi!
Von (Kunst-)Malern und Anstreichern – Eine Porträtaufnahme Rupprecht Geigers von Stefan Moses
Neben meinem Praktikum im Archiv Geiger verbringe ich momentan viel Zeit mit den Recherchen für meine Abschlussarbeit. Diese führen mich regelmäßig in die Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte am Königsplatz. Dort können die Benutzer Rupprecht Geiger zur Zeit ausnahmsweise nicht nur in Form von Büchern, Werkverzeichnissen und theoretischen Abhandlungen begegnen.
Während ich vor Kurzem also wieder einmal im Lesesaal saß, über eine Frage mittelalterlicher Heiligenikonographie nachsinnend, blieb mein schweifender Blick an einer Schwarz-Weiß-Fotografie mit dem Porträt Rupprechts hängen. Der 78-jährige Künstler ist in beinahe klassischer Pose abgelichtet worden: ein Brustbild, im strengen Profil nach rechts blickend, mit leicht nach vorne gewandtem Oberkörper. Der sich nach links verdunkelnde, etwas unscharfe Hintergrund lässt eine reiche Vegetation erkennen. „Fast klassisch“ ist das Porträt insofern, als dass wir das Gesicht des Künstlers nur durch ein Abstreifgitter erkennen, welches sich jener mit der linken Hand schräg vor das Gesicht hält. Das deutliche Nutzungsspuren aufzeigende Maler-Utensil verbirgt durch sein grobmaschiges Netz zwar nicht die Identität des Dargestellten – dennoch stellt es sich dem ungehinderten Blick des Betrachters in den Weg, verschleiert die Züge Geigers.
Die Fotografie stammt aus dem Jahr 1986; sie reiht sich ein in die in den 1960er Jahren begonnenen Serie „Künstler machen Masken“ von Stefan Moses. Die Bedeutung des seit 1950 in München beheimateten Fotografen als einer der wichtigsten Chronisten der deutschen Gesellschaft im 20. Jahrhundert beruht, unter anderem, auf seinen umfangreichen, bisweilen Jahrzehnte umspannenden Zyklen wie „Deutsche“, „Abschied und Anfang – Ostdeutsche Porträts“ oder „Die Großen Alten im Wald“. Auch in der letztgenannten Serie, im Jahr 1998, finden wir Rupprecht in einer Aufnahme wieder.
Den Auftakt der Künstlermasken-Serie stellte das Porträt des Bildhauers Gerhard Marcks aus dem Jahr 1964 dar. Seitdem bittet der Fotograf immer wieder Künstler aus seinem persönlichen Umfeld, sich spontan und mit unmittelbar zur Verfügung stehenden Mitteln zu maskieren – Moses hält dabei sowohl den Verwandlungsprozess als auch das Ergebnis mit der Kamera fest. Die dabei ausgewählten Materialien und der Grad an (Un-)Kenntlichkeit können stark variieren: von Alltagsgegenständen wie einem Vorhang, einer Schere oder einer Flasche Wasser, über Pflanzenteile bis hin zu Skulpturen oder den Werken des eigenen Schaffens; vom kaum verhüllten, direkten Blick in die Kamera bis hin zum vollständigen „Gesichtsverlust“. Die Identität der Dargestellten blieb und bleibt jedoch insofern sichtbar, als dass die den Porträtierten überlassene Wahl der Mittel wiederum Aussagen über deren Persönlichkeit treffen lässt. Exemplare des von Rupprecht umfunktionierten Abstreifgitters sind heute noch, in unterschiedlichen Größen und Formen, im Archiv zu finden. Was könnte uns seine Wahl über den Künstler mitteilen?
Weniger wie eine Maske denn wie ein Schutz, wie das heruntergeklappte Visier eines unsichtbaren Helmes wirkt das von Geiger hochgehaltene Gitter. Abschirmen und gleichzeitig den Überblick über das Geschehen behalten. Sichtbar bleiben – nicht unkenntlich, aber dennoch hinter einem Schleier, mit einer gewissen Distanz zum Trubel – um seine Arbeit und seine Person, das könnte man aus Geigers Selbstinszenierung lesen.
Ort der Entstehung war höchstwahrscheinlich der Garten des Malers in Solln – Refugium, Arbeits- und Lebensmittelpunkt. Hier war er Nahe genug am (Kunst-)Geschehen der Stadt – und doch entfernt genug, um sich ohne allzu viel Ablenkung, in Ruhe und Konzentration, seiner Arbeit zu widmen: dem Streben nach malerischer und inhaltlicher Vollendung, ohne Kapricen oder Verkünstelungen. Das ihm zur Maskierung verhelfende Gerät war ein Gebrauchsgegenstand seiner täglichen Arbeit.
Die kompositorische Strenge des Porträts und der formelle Gesichtsausdruck des Dargestellten sollten dabei nicht zu ernst genommen werden. Denn dass sich Geiger nicht mit den Symbolen des Maler-Künstlers schlechthin, Pinsel und/oder Leinwand maskierte, sondern mit dem eher prosaischen Utensil der Maler und Anstreicher, zeugt doch von einem gewissen Humor, von einer Persönlichkeit, die auch sich selbst nicht allzu wichtig nahm.
Zum Weiterlesen:
Pohlmann, Ulrich/Harder, Matthias (Hrsg.): Stefan Moses. Die Monographie, München 2002. Erschienen anlässlich der Stefan Moses-Retrospektive des Fotomuseums des Münchner Stadtmuseums.
Zur Schenkung Stefan Moses im Zentralinstitut für Kunstgeschichte: www.zikg.eu Eine Auswahl von Fotografien aus der Serie „Künstler machen Masken“ und „Selbst im Spiegel“ ist momentan im Lesesaal 2 zu sehen.
(Wir danken Stefan Moses und dem ZIKG für die freundliche Genehmigung, das Porträt sowie eine Aufnahme der Bibliothek abzubilden.)
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