
Rupprecht Geiger Werkübersicht #10: 675/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Cerise) und 676/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Red), 1973
On 28. Oktober 2014 by Franziska
675/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Cerise) (WV 654), 1973, Acryl auf Leinwand, 450 x 200 cm

676/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Red) (WV 655), 1973, Acryl auf Leinwand, 450 x 200 cm
Ein Beitrag von Franziska Straubinger
Das monumentale Werkpaar 675/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Cerise) und 676/73 (Sequenz Kalt Warm – Portrait der Farbe Red) (WV 654 und 655) aus dem Jahr 1973 unterscheidet sich auf den ersten Blick deutlich von dem zuletzt beschriebenen Werk und steht stellvertretend für die späten Düsseldorfer Jahre. Das Paar verbindet die Hauptgedanken dieser Zeit, ein ideales Verhältnis zwischen Farbe und Form zugunsten der Farbe zu finden. Geiger geht aber mit diesen Werken auch einen Schritt weiter, wenn er 1975 formuliert, dass für ihn die Werktitel teilweise als Anleitung fungieren: „Eine Möglichkeit, Farbe bewußt zu machen, sind auch beigegebene Titel, z.B. Rundes Rot, gelagertes Rot (moduliert, oben hell, unten dunkel) […] Dies ist eine Gebrauchsanweisung, Farbe richtig zu erkennen.“ (Farbe ist Element, 1975) In diesem Fall geht Geiger soweit, die Behauptung aufzustellen, jeweils ein „Portrait“ der Farbe Cerise und eines der Farbe Red vor sich zu haben.
Beide monumentale Leinwände sind jeweils 450 x 200 cm groß und von einer homogenen Farbschicht überzogen. Das „Portrait“ der Farbe Cerise weist eine kaum wahrnehmbare Modulation auf, die durch die Dichte des Farbauftrags entstanden ist. Die Tagesleuchtpigmente, einmal Cerise, einmal Red, wurden mit geringen Mengen Acrylharzdispersionsbinder gemischt und auf die Weiß grundierte Leinwand gesprüht. Der Anteil an Bindemittel ist dermaßen gering, dass die Pigmente in ihrer Körnigkeit erkennbar sind und eine Puderschicht auf der Leinwand bilden. Die Werke sind dementsprechend äußerst fragil, da die Farbe gerade noch eine Verbindung mit dem Bildträger eingeht.
Was sich dem Betrachter sofort aufdrängt ist die ungeheure Präsenz der Farbe. Im einzelnen sind diese Werke schon leuchtend genug: das Cerise-Pigment erstrahlt in einem leuchtenden Magenta, während das Red-Pigment sich in einem schwelenden Orangerot zeigt. Doch die Krux ist hier die Verbindung der beiden Portraits: zusammen machen die beiden Rots den Eindruck, als ob sie darum ringten, die Überhand im Blick des Betrachters zu erlangen. Die Farbe scheint leicht vibrierend aus den Leinwänden heraus zu steigen.
Der Ausdruck Max Imdahls zum Werk 703/75 (WV 683, 1975) von Geiger, dass man hier „eine Immaterialisierung des Materiellen wie umgekehrt eine Materialisierung des Immateriellen“ wahrnehmen könnte, scheint angebracht (Imdahl, Max: Geigers Bild 703/75, in: Kat. Ausst. Rupprecht Geiger, Staatsgalerie Moderner Kunst im Haus der Kunst München 1988, München 1988, S. 37.). Denn der Träger (das Materielle) erfährt durch die aufgesprühte Farbe eine Zurückstellung, ein ‚Unsichtbarwerden‘, während das Immaterielle (die Farbe) durch die Zurückstellung des Materiellen, Oberfläche gewinnt und in sich selbst materiell wird. Die Farbpigmente scheinen im Blick aus dem Fokus zu gleiten, gleichzeitig gewinnen sie dadurch an Leuchtkraft und damit an ungeheurer Präsenz. Stellt sich der Betrachter vor diese beiden Gemälde, so wird er von deren Leuchtkraft umringt und steht im Grunde in deren Farbraum. Dieser Gedanke wird von Geiger durch die Realisierung eines begehbaren Farbraumes (1975) noch greifbarer.
Als ein Spätwerk der Düsseldorfer Jahre Geigers kennzeichnen diese beiden Gemälde die reine Verwendung von „abstrakten“ Tagesleuchtpigmenten, die im anonymisierten Luftdruckspritzpistolen-Verfahren auf die Leinwand aufgetragen werden. Die vollkommene Anonymisierung des Künstlers als Kunstschaffender ist hier vollbracht. Kein Pinselstrich zeugt mehr von ihm. Die Monumentalität der Werke führt Geiger nach seiner Rückkehr nach München 1976 in seinem neugebauten Atelier in München-Solln (das heutige Archiv Geiger) fort.
Es sollte aber anhand der drei zuletzt beschriebenen Werken deutlich geworden sein, wie Geiger die Vertiefung und Fortführung seiner Absicht, Farbe an sich darzustellen, während seiner elf Jahre an der Düsseldorfer Akademie der Künste umsetzt. Wo er anfangs noch vermehrt mit rechteckigen Formen arbeitet, findet er schnell, 1967, zum „gedrückten Kreis“, der ihm ideal die Farbe zutage zu bringen scheint. Mit diesem Ziel vor Augen geht er einen Schritt weiter, wenn er in den Portraits der Farben Cerise und Red jene Pigmente ohne deutliche Modulation und in formloser Monochromie auf die Leinwand bringt.
Beide Werke können derzeit im Rahmen der aktuellen Präsentation im Archiv Geiger besichtigt werden.
Zitierweise: Straubinger, Franziska: Werkbeschreibung 675/73 und 676/73, 1973 (WV 654 und 655) [28.10.2014], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).
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