Rupprecht Geiger Werkübersicht #16: Trans-Atlantic, Brasilia, São Paulo und Rio, 2001 (WV 898–901)
On 29. April 2015 by ArchivEin Beitrag von Sarah Massumi
2001 bietet sich Rupprecht Geiger die Möglichkeit der Teilnahme an der XXV. Bienal de São Paolo. Die Einladung war durch Helmut Friedel erfolgt, dem damaligen Direktor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kurator des deutschen Beitrages. Es handelte sich jedoch keinesfalls um das erste Gastspiel Geigers in der brasilianischen Hauptstadt: über vierzig Jahre zuvor, zur V. Bienal de São Paolo 1959, war er schon einmal mit zwei Arbeiten (Blaue Form, Rot und Schwarz, 1958 (WV 217) und OE 291/59, 1959 (WV 250)) vertreten gewesen.
Das 2,05 x 3,85 m große, zuvor als Millennium 2001 betitelte Werk Trans-Atlantic (WV 898) wird das erste von insgesamt vier Werken, die schließlich die Reise nach Brasilien antreten.
Charakterisiert ist das Gemälde durch den typischen gedrückten Kreis, der hier jedoch horizontal halbiert wurde. Überzogen wird es von einer pastosen Modulation, die von einem kräftigen Rotton oben in ein leuchtendes Pink übergeht. Ihr vervollständigtes Äquivalent findet die Form in dem Gemälde São Paulo (WV 900): der diesmal ganze, gedrückte Kreis mit den Maßen 2,90 x 3,55 m wird von einer vergleichbaren, kräftigen Rotmodulation bestimmt. Beide Arbeiten waren in der ursprünglichen Hängung in São Paulo einander gegenübergesetzt. Kontrastiert wurde die Paarung durch zwei Komposite-Gemälde: dem monumentalen Brasilia (2,90 x 4,60 m; WV 899) und Rio (2,90 x 4,10 m; WV 901). Während sich in Brasilia ein leuchtend gelber Kreis links unten vor ein liegendes, in Rot-Pink moduliertes Rechteck schiebt, wird selbiges in Rio von einem kleineren, stehenden Rechteck in einer warmen Rot-Orange-Modulation oben rechts überschnitten.
Die Verwendung und Aneinanderreihung archetypischer Formen findet sich seit den 1970er Jahren im Werk Geigers. Die Gegenüberstellung, beziehungsweise Zusammensetzung, von gedrücktem Kreis sowie liegendem oder stehendem Rechteck führt zu formalen Spannungen, die, wie in dem Gemälde Brasilia, durch Hell-Dunkel-Kontraste gesteigert werden. Ein warmes Gelb, ein kühles Leuchtpink, dazu ein Feuerwehrrot – für sich allein, nebeneinander, oder in einer Modulation – die formale und farbliche Vielfalt in einem eigens konzipierten Raum sollte die Geiger’schen Farberlebnisse auch dem südamerikanischem Publikum nahebringen.
Julia Geiger, die ihrem Großvater auch bei der Entstehung der Gemälde assistierend zur Seite stand, erinnert sich an den Arbeitsprozess, der sich über mehrere Monate im Jahr 2001 erstreckte. Die Arbeiten waren, in ihrer Monumentalität von bis zu 2,90 x 4,60 m (Brasilia), nicht ohne Vorläufer im Werk Geigers gewesen. Dass sich der aber nunmehr 93-jährige Maler wieder eines solchen Projektes annahm, zeugte von dessen ungebrochenen Schaffenswillen.
Dazu wurden die eigens angefertigten, unregelmäßig geformten Leinwände nacheinander im Hauptraum des Ateliers montiert, grundiert, und ein temporäres Holzpodium installiert. Mit der Hilfe von einer Handvoll Assistenten bemalte Geiger dann in einzelnen, bis zu fünf Stunden dauernden Sitzungen die jeweiligen Bildflächen einer Farbe. Die Herausforderung, so Julia Geiger, bestand hierbei noch immer darin, die jeweiligen Farb-Abschnitte in einem „Rutsch“ zu malen, da das zwischenzeitliche Trocknen der Farbe auf der Leinwand die charakteristischen, stufenlosen Modulationen verhindert hätte. Die mehrere Tage dauernde Regenerationsphase nach einer jeden solchen Sitzung lässt ermessen, welch enorme Anstrengung dieses Projekt für den hochbetagten Künstler bedeutet hatte, erzählt weiter seine Enkelin.
Konzipiert war die Bespielung eines von der Münchner Architektin Mick Schütz eigens geschaffenen Pavillons, der neben den anderen Länderbeiträgen in der Haupthalle aufgestellt worden war. Der Innenraum wurde allein von den vier Gemälden Geigers dominiert. Die Motivation hinter diesem Arrangement war, so Julia Geiger, die auch bei der Hängung vor Ort präsent gewesen war, die seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Formen ausgeführte Idee des Künstlers, den Betrachter in einem Farbraum „Farbe tanken“ zu lassen (siehe Farbräume Unisono, Rote Trombe). Komplementär wurden an den Außenwänden des Pavillons Arbeiten von Franz Ackermann (* 1963) gezeigt; dem „Altmeister“ der Farbe Rot eine jüngere, malerische Position zur Seite gestellt.
Rupprecht Geiger war persönlich nicht mehr in der Lage, die Präsentation seiner Werke vor Ort in São Paulo zu sehen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland wurden sie jedoch in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München gezeigt, bevor der Werkkomplex in die württembergische Sammlung Schaufler ging. Anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers 2008, wurde die Rauminstallation in der Berliner Nationalgalerie noch einmal rekonstruiert und wartet nun darauf, sich dem Betrachter wieder in ihrer ursprünglichen Konstellation zu präsentieren.
Quellenangaben:
Telefoninterview mit Julia Geiger am 25.4.2015.
Zitierweise: Massumi, Sarah: Werkbeschreibung Trans-Atlantic, Brasilia, São Paulo und Rio, 2001 (WV 898–901) [29.04.2015], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).
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