Rupprecht Geiger Werkübersicht #2: Griechische Landschaft, 1945 (WV 5)
On 28. Februar 2014 by FranziskaEin Beitrag von Julia Geiger
Die Gemälde, die Rupprecht Geiger in den Nachkriegsjahren 1945 bis 1947 malt, bilden trotz stilistischer Unterschiede eine eigene Werkgruppe, welche die künstlerische Orientierungssuche Geigers in diesem Zeitraum wiedergibt. Der Künstler vollzieht dabei eine bewusste Abkehr von der Wirklichkeit. In den drei Nachkriegsjahren entstehen lediglich sechzehn Gemälde infolge der nachkriegsbedingten Malmittelknappheit. Aufgrund dessen benutzt Geiger, teilweise Jahre später, die Rückseite einiger Bilder für neue Werke, welche die Bilder der Vorderseite in Vergessenheit geraten lassen und die tatsächliche künstlerische Produktion dieser Zeit schwer nachvollziehbar macht. Die Themen kreisen um Landschaften und Stillleben.
Bei dem hier beschriebenen Eitempera-Gemälde Griechische Landschaft aus dem Jahr 1945 handelt es sich um eine Stadtansicht vor einer Berglandschaft. Sie wird links durch eine blau-schwarze Farbfläche und unten von einem violett-schwarz modulierten Farbfeld eingerahmt. Auf der rechten Bildseite stützen sich auf einer weiß herabfallenden Kante Farbfelder in rot und zartrosa. Im Vordergrund ragt mittig auf einem dunklen Steinboden ein karger Baum mit hellviolettem Schatten hervor. Der dicke, konturenhaft gemalte schwarz-weiße Stamm ist stark zurückgeschnitten und trägt nur einen einzigen Ast mit weißen Blättern. Dahinter erstrecken sich zwei blockartige Gebäude mit ausgeprägten Schatten in weinrot bzw. schwarz, die an einen Turm und eine Kirche erinnern. Die Freiräume zwischen den Häusern gewähren den Blick auf eine kulissenhafte, hellviollett-blaue Bergsilhouette. Darüber entfaltet sich der Himmel in weiß-gelben bis hin zu dunkelblauen Tönen.
Die Stadtansicht zeigt mehrere vereinzelte, voneinander isolierte Elemente. Die Ausschnitthaftigkeit des Bildes wird durch die Farbfelder links und rechts betont. Trotz der Tiefenräumlichkeit der Darstellung verzichtet der Künstler auf die Zentralperspektive. Die hintereinander gestaffelten Elemente vermitteln in der Diagonalen einen optischen Rhythmus im Gemälde, während die Schatten an den Gebäuden ein Gegengewicht dazu bilden. Das zentrale Bildelement ist der Baum, der die drei Ebenen im Mittelbereich verbindet und den Blick von einer Bildebene in die nächste leitet. Dominiert wird der Gesamteindruck von einer kalten Farbgebung und von starken Hell-Dunkel-Kontrasten. Warme Akzente setzen rechts das rote Farbfeld und das kräftige Gelb darüber, die als Lichtquelle gedeutet werden kann. Dagegen spricht die Ausrichtung der Schatten bei den Gebäuden und dem Baum, die auf eine von links kommende Lichtführung hindeutet. Hier wird deutlich, dass der Künstler von den natürlichen Lichtgegebenheiten Abstand nimmt. Der stellenweise pastose Farbauftrag bei den Baumblättern und dem steinernen Boden betont die Stofflichkeit dieser Elemente.
Als Kriegsmaler 1944 in Griechenland stationiert, verbringt Geiger den Sommer in Korinth, Argos, Athen und Nauplia – seine Begeisterung für diese griechische Hafenstadt hält er mit Stift und Pinsel fest:
„Diese herrliche kleine Hafenstadt ist mir das Schönste. Steile Berggassen mit vielen Treppen, entzückende kleine Plätze, unglaublich malerische Gruppierung von Häusern, Dachgärten in den farbigen glühenden Farben. Kleine Kirchen mit harmlos naiver Architektur.“ (Tagebuch 1939-49, S. 71)
Die Farb- und Lichteindrücke hält er in zahlreichen Stadtansichten fest. Seine Vorliebe für eine in der Landschaft eingebettete Architektur entwickelt er bereits als Jugendlicher in Spanien, wo die Familie Geiger ab 1923 eineinhalb Jahre verbringt. Fasziniert ist er in Nauplia besonders von einem kleinen Platz, von dem er zunächst nur die Anordnung der Gebäude in seinem Tagebuch mit Bleistift skizziert (Abb. 3). Später fertigt er mehrere detaillierte Grafitzeichnungen und ein farbfrohes Aquarell mit kräftigen Farben an (Abb. 4 und 5), die als Vorlage für das besprochene Gemälde dienen. Bereits in diesen Vorstudien geht es dem Maler nicht um eine detailgetreue Wiedergabe des Gesehenen. Im Aquarell konzentriert er sich auf die Farben und das südliche Licht.
Beim hier besprochenen Gemälde übernimmt er vor der Bergsilhouette lediglich die Anordnung der Gebäude, die er bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Die Papierarbeiten und das Gemälde verdeutlichen die schrittweise und bewusste Entfernung vom gesehenen Erscheinungsbild. Auffallend sind die immer stärker betonte Strenge der Komposition und die stufenweise Vereinfachung des Dargestellten durch allmählichen Verzicht auf Details. Die glühenden Farben unter dem mediterranen Licht hinterlassen beim Künstler einen nachhaltigen Eindruck:
„Der Süden ist ein einziger Rausch, eine Symphonie der Farben und man steht ihr ach! allzu oft fassungslos gegenüber. Oft gehe ich ratlos und fast verzweifelt durch die Glut der Häuser – Gassen und Licht u. Schatten erscheinen mit erdrückender Fülle, auch die Gefahr des allzu Bunten lauert. “Die Straße vom Kastell“ unter Mittags: grünes Meer, ultramarines Haus, blassgrünes Haus und der Himmel preußischblau. Das ist zu viel.“ (Tagebuch 1939-49, S. 77ff)
Die Menschenleere der fast gespenstisch wirkenden Stadt, die an die unbelebten Stadtlandschaften von Giorgio der Chirico erinnern, zeugt von der Abwendung vom Menschen und der realen Welt. Dies steht eindeutig in Zusammenhang mit den vom Künstler erlebten Schrecken des Krieges, wie er selbst öfters in Gesprächen bis ins hohe Alter betont. In den meisten Gemälden der Nachkriegszeit kommt dagegen der Baum als Symbol des Lebens vor, der für die Hoffnung und den Wunsch auf Erneuerung nach einer langen, von Diktatur und Krieg beherrschten Zeit steht. So zeigt in Griechische Landschaft der verstümmelte Baum Auswüchse und scheint trotz des steinernen, unfruchtbaren Bodens, wieder zu gedeihen.
Zitierweise: Geiger, Julia: Werkbeschreibung Griechische Landschaft, 1945 (WV 5) [28.02.2014], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).
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