Willi Geiger – Werkbeschreibung I
On 10. Juli 2024 by FranziskaFür das Sommersemester 2024 entstand eine Kooperation zwischen dem Archiv Geiger und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen der Übung „How to Werkbeschreibung“ lernten Studierende der Kunstgeschichte anhand von Originalen von Willi Geiger, das Handwerk einer Werkbeschreibung. Fast alle Studierende befanden sich im Bachelor-Studium, betreut wurden sie von Dr. des. Helene Roth der LMU sowie von Julia Geiger und Franziska Straubinger vom Archiv Geiger.
Werkbeschreibung von Kiki Koch
Blumen betitelt Willi Geiger (1878-1971) sein großformatiges Gemälde von 1965. Vor einem blauen Hintergrund erwächst aus dem Dunkel des rechten unteren Winkels ein opulentes, leuchtendes Blumenarrangement ins Helle, in die gesamte senkrechte Bildfläche hinein. Die losen Blumenstiele des Gebindes sind deutlich sichtbar und keinesfalls verborgen, in sehr kräftigen Rot-, Blau-, Braun- und Gelbtönen gehalten und kündigen die Pracht ihrer Blüten an. Die Blumenköpfe sind in ihrer botanischen Gattung nicht eindeutig erkennbar, gleichwohl sind in ihrem Inneren Staubgefäße und zarte Blütenblätter zu sehen. Die üppige Farbpalette steigert sich im rechten unteren Bildviertel vom kräftigem Sonnengelb einer mutmaßlichen Ranunkel flankiert, von zwei roten und orangeorten Mohnblüten, zu einem callasartigen Gewächs mit fliederfarbenem Innenleben. Nach hinten oben werden die Blüten kleiner, die Farben gehen von hellerem Gelb in ein zartes Rosa über, das von kräftigem Braun unterlegt ist. Filigrane Blütenblätter scheinen hoch zu springen und über dem Bouquet zu schweben. Zur Bildmitte hin wandelt sich die Farbigkeit wieder in warme Brauntöne mit orangen Einsprengseln und einem Fruchtstempel in einer dunklen Glockenblume. Daneben legt sich eine Kontur in Erdbraun um eine amorphe Form. Dazwischen schimmert eine blaue, kleeähnliche Blüte.
Zur helleren linken Bildseite und nach oben hin lösen sich die teils noch konkreten Formen auf, werden nicht mehr definierbare, abstrakte, teils tropfenartige Gebilde. Je dunkler die Farbfassung, desto losgelöster scheinen die einzelnen Stängel. Ein kleiner stacheliger Blütenkopf, scheint erst gar nicht fixiert zu sein. Darunter geht ein kleiner blauer Halbmond auf. Obwohl das Gebinde hier locker wirkt, ist es doch nicht in Auflösung begriffen. Weit aus dem Arrangement hinaus ragt ein schlanker Stiel nach oben, dessen markante, schnabelartig geöffnete Blüte zieht die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Üppigkeit der Formen, Farben und Blumen verweist auf eine Beschreibung des Malers aus seinen Erinnerungen vom September 1944: „In den Sommermonaten am Chiemsee wurde fleißig gemalt, Stilleben, Bildnisse bäuerlicher Freunde und Blumen, deren geheimnisvolle Welt mir in meinen letzten Jahren stärkste Impulse für die Arbeit gaben.“[1]
Der Hintergrund des Gemäldes ist ganz in Blau gehalten. Der Kontrast zum Blumengebinde lässt dessen Farben besonders leuchten und hebt die Formen deutlich hervor. Dieses helle Bleu ist mit grobem Pinselstrich pastos aufgetragen. Darüber setzt der Künstler zahlreiche weiße, fast wölkchenähnliche zarte Akzente, auch etwas Rosa von den Blüten. Verschiedene Blautöne, gepaart mit hellem Beige und Violett, wirken teiweise wie grob gespachtelt und pointil getupft. So entsteht die Anmutung eines Himmels.
Dem Phänomen Himmel hat Geiger auf seinen vielen Reisen im In- und Ausland immer wieder große Beachtung und Bewunderung gezollt und beispielsweise so beschrieben: „Da erhob sich nun unter einem blauseidenen Himmel vom gleichen Kobaltblau, wie es Fra Angelico liebte […]“.[2] An anderer Stelle schildert Geiger: „[…] der Himmel ging von hellstem Türkisblau hinauf zu tiefem Blauviolett […]“.[3] Und doch ist auf der linken Bildseite unten eine Linienführung sehen, die mit dunklerem Blau und hellerem Bleu bis zum Weiß, die Weite eines solchen Himmelhintergrundes wieder in Frage stellt.
Bei der Betrachtung des Originalgemäldes wirken die kräftige Malart und der stellenweise spachtelartige Farbauftrag weder grob noch derb. Dies liegt an den Farben selbst. Sie haben eine Mattigkeit und Zartheit, die an Kreide erinnert. Mit seiner Malweise lässt Geiger Farben als Licht entstehen und leuchten. Willi Geiger war Neuem stets aufgeschlossen. Um das brillierende Orangerot der Blüten zu erreichen, trägt er hier dieselben Tagesleuchtfarbpigmente auf, mit denen sein Sohn Rupprecht Geiger seinen Ruhm als zeitgenössischer Künstler begründete.[4] Dieser Einsatz der Tagesleuchtfarbpigmente verweist auf Willi Geigers Wandelbarkeit und Modernität und auch auf sein allerletztes Gemälde Abstrakte Blumen, das er 1970 vollendete und das noch lange bei seinem Sohn Rupprecht im Wohnzimmer hing.
In den 1960er Jahren, der Entstehungszeit des Bildes, waren eigentlich alle Gesetze aufgehoben. Zwar ist die Zeit der Pop Art ein Sammelsurium von Bildwelten, die der Populärkultur entstammen (Roy Liechtenstein, Andy Warhol). Auch die Minimalisten schlugen andere Wege ein, verwendeten maschinell gefertigte Komponenten und geometrische Formen (Richard Serra), um der Moderne ein letztes Mal eine Chance zu geben. Doch Geigers Bild lässt sich nicht so ohne weiteres einer Epoche oder einem Stil zuordnen.
Das Werk mutet mit seinen Formen teils kubistisch mit Tendenz ins Abstrakte an. Insgesamt ist es jedoch in der malerischen Umsetzung wieder sehr organisch und näher an der Realität. Für die Qualität des fazinierenden Bildes ist eine Etikettierung sicherlich nicht von Belang. Hier ist es Geigers „überschwenglicher Blumenpracht“[5] und die besondere Form- und Farbgebung, die ein absolut einmaliges Kunstwerk entstehen lassen, welches – wie so oft in der Kunst – nur am Original wahrnehmbar und erfassbar wird. Willi Geiger selbst äußerte sich in einer „Zwiesprache im Hofgarten“[6]auf die Frage, ob denn die Kunst der 1960er Jahre in einer Krise stecke: „Sie wissen doch, glaubte ich entgegnen zu müssen, dass alles im Leben, auch die Kunst, dem Gesetz ständiger Erneuerung unterliegt.“[7]
Werdegang Kiki Koch: Kultur- und Kunstverliebt
1954 geboren in Rheinland-Pfalz, Studium Dipl.-Sozialpädagogik in München, Schauspiel in Paris, M.A. Kulturmanagement in Kaiserslautern. Derzeit späte aber glückliche Studentin der Kunstgeschichte an der LMU, München.
[1] Willi Geiger Der offene Horizont. Lebenserinnerungen von Willi Geiger, , Landshut 1996, S. 163.
[2] Ebd., S. 48.
[3] Ebd., S. 54.
[4] Rupprecht Geiger, Maler, 1908 – 2009 München.
[5] Geiger 1996, S. 158.
[6] Ebd., S. 183.
[7] Ebd.
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