
Willi Geiger – Werkbeschreibung II
On 30. Juli 2024 by FranziskaFür das Sommersemester 2024 entstand eine Kooperation zwischen dem Archiv Geiger und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen der Übung „How to Werkbeschreibung“ lernten Studierende der Kunstgeschichte anhand von Originalen von Willi Geiger, das Handwerk einer Werkbeschreibung. Fast alle Studierende befanden sich im Bachelor-Studium, betreut wurden sie von Dr. des. Helene Roth der LMU sowie von Julia Geiger und Franziska Straubinger vom Archiv Geiger.
Werkbeschreibung von Emilia Antoni

Zuhause. Kann das Gefühl Zuhause bildlich dargestellt werden? Welche Atmosphäre muss wirken, damit man sich wie zuhause fühlen kann? Hat es alles mit dem Gewohnten, dem Bekannten zu tun oder können auch ungewöhnliche Dinge ein solches Gefühl auslösen?
Vielleicht kann dieses Gemälde dazu Erkenntnisse liefern.
Das Ölgemälde Stillleben mit Stuhl stammt von dem Maler Willi Geiger und entstand 1964, in der späteren Schaffensperiode des Künstlers.
Das mittelgroße Gemälde zeigt im Vordergrund einen weißen Stuhl mit geflochtener, brauner Sitz- und Rückenfläche. Der Stuhl ist aus Holz, mit Schnitzarbeiten an Lehne und Beinen verziert und weiß bemalt. Darauf steht ein Teller mit Obst. Ganz vorne liegt eine gelbe Banane, dahinter ein pinkfarbiger Apfel, hinter dem sich eine orangefarbene Birne reiht. Der Teller könnte aus weißer Keramik oder Porzellan sein und ist nicht weiter verziert. Er scheint jedoch schief auf der Sitzfläche des Stuhls zu stehen, da die linke Seite nach oben geneigt und das Obst zum rechten Tellerrand gerutscht ist. Der Stuhl steht nach rechts außen gedreht, wobei das vordere linke Stuhlbein über den Bildrand hinausgeht. Geiger lädt mit dieser Perspektive die Betrachtenden bildlich ein, sich in den Raum zu begeben. Der Raum wirkt mit seinen hellrosa Wänden und dem mit breiten Brettern ausgelegten Holzboden wohnlich. Durch die offene Flechtung der Rückenlehne schimmert eine dunklere, rechteckige Fläche an der Wand hindurch. Vermutlich handelt es sich hier um eine Ofentür.
Der Bildraum ist klar in einen Vordergrund (Stuhl mit Obstteller) und einen Hintergrund (Wände) aufgeteilt. Die Dielen des Holzbodens verlaufen schräg vom linken oberen Bildrand zur rechten unteren Kante parallel zur Wand und bestimmen die Raumlinien. Die Ecke im Raum mit der anschließenden rosafarbigen Wand und die Positionierung des Stuhls erzeugen eine dreidimensionale Wirkung – auch hier werden die Betrachtenden in den Raum eingeladen.
Die Formgebung der Objekte ist realistisch, erinnert jedoch leicht an die Malweise des Expressionismus. Dies ist insbesondere durch die Proportionen und Maßen des Stuhls und Obst zu erkennen sowie auch in der Perspektive. Bei Form und Farbe des Werkes scheint es weniger um ein genaues Abbild zu gehen, sondern vielmehr um den Ausdruck der Stimmung, den das Stillleben hervorruft. Die Malweise Geigers lässt auf eine leichte und doch präzise Pinselführung schließen, wodurch alle Gegenstände leicht abgerundet und organisch erscheinen. Der Duktus ist gut bei den einzelnen Linien der geflochtenen Stuhlflächen zu erkennen, aber auch bei der Ausmalung des Obstes oder den Verzierungen des Stuhls.
Das Licht fällt von einer nicht identifizierbaren Quelle von links oben in den Raum. Willi Geiger betonte diese diffuse Lichtszene mit jeweils helleren und dunkleren Farbtönen. Dies ist insbesondere um den Stuhl herum und auf dem Obst zu erkennen. Das Obst wird von vorne links beschienen und lässt grau-braune Schatten auf den Teller fallen. Die Wandpartien, die parallel zu den Bodenleisten verlaufen, sind in einem helleren, pastellfarbenen Rosa gehalten, als die Wand, an welcher sich der Ofen befindet.
Der Farbauftrag ist besonders im oberen linken Viertel des Gemäldes pastos: Das Rosa der Wand liegt in verschiedenen Hell-Dunkel Abstufungen übereinander und ist sogar auf den angrenzenden Bodendielen zu finden. Die Pastositäten, die nur in einer Ecke des Werkes vorhanden sind, stehen in Kontrast zu den restlichen, eher gleichmäßigen Auftrag der Ölfarben.
Neben den Proportionen erinnert auch die Farbgebung an eine expressionistische Malweise. Die Rosa-Färbung der Wand sowie die Blautöne, die auf dem eigentlich weißen Stuhl auftauchen, rufen eine gewisse emotionale Ästhetik hervor: Die Tiefe der Gefühle, die auch mit einem gewohntem Ort wie dem eigenen Zuhause verbunden ist. Bei einem näheren Blick auf die Details, auf kleinere Ausschnitte auf dem Gemälde, wird die Vielzahl der bunten Farbtöne sichtbar, mit denen der Bildraum ausgestaltet ist. Es sind ein dunkles Lila, ein kräftiges Blau und ein Petrolgrün zu sehen. Diese Farben, wie sie beispielsweise unter dem Stuhl im schattigen Bereich zu sehen sind, haben nichts mit der eigentlichen Gegenstandsfarbe (in diesem Falle des Bodens) zu tun. Sie erzeugen nicht nur räumliche Tiefe sondern Willi Geiger erreicht durch das Experimentieren mit verschiedenen Farben auch eine Lebendigkeit im Bildraum. Der alltäglichen, gewöhnlichen Umgebung wird ein besonderer Eigenwert verliehen.
Besonders stechen die „hellen“ Schatten rechts hinter dem Suhl und links hinter dem Teller hervor. Sie umgeben die Gegenstände wie eine Art Aura, die das Obst-Stillleben betonen und den gesamten Bildraum aufzuhellen scheinen. Was sonst eine dunkle, einsame Bauernstube sein könnte, wird nun zu einem freundlichen und einladenden Raum.
Die kühleren Töne des Stuhls und der darunter liegenden Schatten kontrastieren mit den wärmeren Tönen des vom Licht beschienenen Obst und der rosa Wand. Besonders das Gelb der Banane bringt einen neuen Akzent in das gesamte Gemälde ein. Das mag dadurch verstärkt werden, dass die Banane die „exotischste“ Frucht in diesem sonst eher traditionell, deutsch/europäischen Stillleben ist.[1]
In seinen Memoiren erwähnt der Künstler die Obstbäume in der Landschaft um den Chiemsee, in der er sich während des Nazi-Regimes und in der Nachkriegszeit lange Zeit aufhielt: „Es schien mir geboten, zunächst aus München zu verschwinden, und so bezogen wir das im Jahr 1932 erworbene 400 Jahre alte Bauernhaus.“[2]
Willi Geiger lebte am Chiemsee in einem Haus, „die Bax“ benannt wird. Der Stuhl, den Geiger auf seinem Stillleben malte, befand sich darin und existiert noch heute. Das Stillleben zeigt einen Raum der Bax – die Raumsituation und gezeigten Gegenstände entsprechen der Realität. Es ist also wirklich Willi Geiger‘s Zuhause, das hier erlebt werden soll.

Die expressive Darstellung der Objekte, die Fokussierung auf Farbe und virtuose Pinselführung anstatt proportionaler Detailtreue verrät uns, dass der Künstler mehr Wert auf die Vermittlung von Ästhetik, Wirkung und Emotion legte als auf eine naturgetreue Wiedergabe des Raumes. Stillleben sind für gewöhnlich bestückt mit leblosen Objekten. Bei Geiger werden diese jedoch durch die expressive, kräftige Farbigkeit Leben eingehaucht. Ein Zuhause soll ein solcher, von Lebendigkeit erfüllter Wohlfühlort sein, wie er hier präsentiert wird.
Emilia Antoni ist Bachelor-Studentin der Kunstgeschichte an der LMU München. Sie arbeitet seit 2022 im Bereich der Gemälderestaurierung als Praktikantin und beschäftigt sich dadurch gerne sowohl mit den historischen, aber auch materialtechnischen Aspekten der Kunst. In der Übung, die im Sommersemester 2024 gemeinsam mit dem Archiv Geiger stattfand, konnten spannende Hintergründe der Familiengeschichte der Geigers in Erfahrung gebracht werden, die sich für die Projekte der Übung als sehr interessant und aufschlussreich erwiesen.
[1] Im Laufe seines Schaffens fertigte Geiger zahlreiche Gemälde im Genre „Stillleben“ an, die oft Äpfel und Birnen, jedoch meist keine Bananen zeigen Vgl. „Stillleben mit Äpfeln und Birnen“. In diesem Gemälde verwendete Willi Geiger unter anderem Tagesleuchtfarbpigmente, mit welchen sein Sohn Rupprecht Geiger bereits arbeitete.
[2] Willi Geiger: Der offene Horizont. Lebenserinnerungen von Willi Geiger, Landshut 1996, S. 155.
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