Willi Geiger – Werkbeschreibung III
On 6. August 2024 by FranziskaFür das Sommersemester 2024 entstand eine Kooperation zwischen dem Archiv Geiger und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen der Übung „How to Werkbeschreibung“ lernten Studierende der Kunstgeschichte anhand von Originalen von Willi Geiger, das Handwerk einer Werkbeschreibung. Fast alle Studierende befanden sich im Bachelor-Studium, betreut wurden sie von Dr. des. Helene Roth der LMU sowie von Julia Geiger und Franziska Straubinger vom Archiv Geiger.
Werkbeschreibung von Gabriela Cuenca
In der Mitte des hochformatigen Ölgemäldes Zu García Lorca von Willi Geiger aus dem Jahr 1961 befindet sich ein ockerfarbiges Oval, das die Komposition fast vollständig einnimmt und das sich deutlich von dem dunkelbraunen Hintergrund abhebt. Innerhalb dieser organischen Form blicken sieben, in zwei Gruppen übereinander gestapelte Gesichter mit kantigen Formen und aus einfachen Linien bestehend in verschiedene Richtungen. Das ganze Werk wirkt trocken wie der Erdboden während einer Dürre. Der Hintergrund besteht hauptsächlich aus einem matten, fast schlammigen Braun. Klare sichtbare Pinselstriche in dunklen Tönen verleihen diesem vermeintlich zurückhaltenden Bildbereich Dreidimensionalität und Bewegung.
Auf seiner rechten Seite ist ein auffälliger Farbstreifen zu sehen, der wie ein Wasserfall abfällt. Dieses Feld offenbart, was in den Tiefen dieser dicken Farbschichten liegt. Farbtöne wie Rosa, Gelb und Rot kommen zum Vorschein. Die braune Farbe scheint hier entfernt worden zu sein, als ob der Künstler einen Einblick in die verschiedenen Farbebenen geben wollte. Somit erkennen die Betrachtenden die Komplexität, die ein vermeintlich „einfacher“ Hintergrund ausmachen kann.
Das mittige Oval erinnert an eine Art Blase, die sieben Gesichter einkapselt. Aus der Ferne sieht sie sogar wie die Oberfläche eines farbigen und abgetragenen Steins aus. Geiger gelang dieser Effekt durch Pinselstriche in verschiedenen Farbnuancen, die sich in alle Richtungen entfalten. Der Künstler arbeitete hier mit einer vielfältigen Farbpalette, wie Blau, Violett und Orange. Je länger das Gemälde betrachtet wird, desto mehr Pinselstriche und Schattierungen werden sichtbar und desto mehr kommt die Komplexität dieses auf den ersten Blick eher zurückhaltenden Bildes zum Vorschein.
Auch die Trennung zwischen dem Oval und dem Hintergrund erfolgt durch kontrastierende Farben, die durch den Effekt unterschiedlicher Texturen noch verstärkt wird. Durch verschiedene Techniken, darunter ein sehr matter und pastoser Farbauftrag, gelingt es Willi Geiger in diesem Werk eine Art Trockenheit zu erzeugen. Es fällt auf, dass die Gesichter keinen Körper haben. Sie scheinen in der graumelierten Blase zu schweben. Gleichzeitig evozieren ihre kantigen Umrisse und Gesichtsausdrücke den Anschein, als wären sie aus Stein gemeißelt – wie Totems, die Geschichten erzählen, die wir nicht kennen.
Willi Geiger stapelte die Gesichter übereinander in zwei Gruppen, links ein Turm mit drei und rechts ein Turm mit vier Gesichtern. Sie wirken wie wackelige Steinklötze, die dennoch in sich eine Stabilität besitzen. Trotz ihrer scheinbaren Einfachheit sind die Gesichter sehr ausdrucksstark. Jedes davon besitzt eine andere Mimik, wie durchdringend, ängstlich, entsetzt oder abschweifend. Vor allem die Augen- und Mundpartien malte Geiger sehr detailliert und verlieh damit den Gesichtern einen lebendigen, fast schon eigenständigen Charakter. Es sind jeweils ganz individuelle Gesichter, die mit ihren eigenen Augen die Welt sehen.
Von diesen sieben Figuren nimmt eine einen besonderen Platz im Werk Willi Geigers ein: Das Gesicht links unten wird vom Künstler in seinem Ölgemälde Drei Masken von 1966 wieder aufgegriffen.
In diesem zuletzt genannten Gemälde finden sich weitere Hinweise: Das obere dunkle Gesicht erinnert an eine Maske, die auf Willi Geigers Maskenwand in der Tenne in der „Bax“, seinem Haus am Chiemsee, hängt. An der Maskenwand hängen fantastische Masken aus Fundstücken, die Willi als Inspirationsquellen dienten, wenn er seine Staffelei in der Tenne aufstellte und malte. Das Werk Drei Masken liefert somit den Hinweis, dass es sich bei den Gesichtern in dem hier besprochenen Gemälde um Masken handeln muss.
Diese Vermutung bestätigt auch der Titel Zu García Lorca. Federico García Lorca (1898–1936) war ein spanischer Dichter und Dramatiker, der vor allem in den 1920er und 1930er Jahren zahlreiche Gedichte und Theaterstücke verfasste. Geigers Faszinosum für García Lorca begann womöglich während seines Aufenthalts in Spanien (1923–1925) und hielt bis zu seinem Lebensende an. Neben dem Ölgemälde widmete er dem Dichter 1969 eine Serie von 11 Lithografien mit dem Titel Federico García Lorca, die sich unter anderem in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München befindet.
Ein wichtiges und wiederkehrendes Motiv bei García Lorca sind tatsächlich auch Masken, die er nicht nur in seinen Gedichten und Theaterstücken, sondern auch in seinen Zeichnungen thematisiert. Geiger äußerte sich zu Lebzeiten nicht, auf welches der von García Lorcas Masken-Konzepte er sich in seinem Ölgemälde und seiner Litho-Serie bezieht. Vielleicht griff er darin die Doppeldeutigkeit des Lebens im Symbol und Form der Masken auf.
In Zu García Lorca zeigt Geiger, wie bereits oben erwähnt, die unterschiedliche Mimik von Gesichtern. Meist sind es Ausdrücke, die nur wenige Sekunden andauern, die hier aber im Gemälde dem Vergehen der Zeit widerstehen werden. Vielleicht verstand er die Symbolik des Versteckens hinter einer Maske als Konsequenz der gesellschaftspolitischen Einschränkung? Vielleicht steht sie für eine tiefere existenzielle Zweiteilung des Menschen? Auch wenn die Gründe dafür vielfältig sind, verstehen wir durch die verschiedenen Gesichtsausdrücke, dass sie sich auf mehr als nur ein Thema beziehen. Subjekte, die noch viele Jahre lang mit überraschten oder verängstigten Ausdrücken fortbestehen. Denn genau hier, in diesem Moment, existiert die Zeit nicht.
Zeit und Kunst sind Elemente der ewigen symbiotischen Beziehung zwischen Künstler und Betrachter. Sobald das Werk vollendet ist, wird das jeweilige Werk zum eigenständigen Gegenstand der Interpretation und Beobachtung. Selten erinnert ein Gemälde an die körperliche Existenz eines Künstlers. Aber Willi Geiger verewigte sich – gewollt oder zufällig – in Zu García Lorca. Ganz links auf dem Gemälde befinden sich die Umrisse eines Fingerabdrucks. Womöglich hinterließ er beim Hochheben des Gemäldes einen schwarz verschmierten Daumenabdruck. Geigers Spuren befinden sich also buchstäblich auf der Leinwand. Er hätte den Finderabdruck übermalen können, aber er entschied sich anscheinend bewusst, ihn als Teil dieser Komposition stehen zu lassen, dieses stillen und ewigen Gesprächs mit García Lorca, mit dem Betrachter, mit den Masken und mit denen, die hinter ihnen leben.
Gabriela Cuenca ist Studentin im zweiten Bachelor Semester Kunstgeschichte an der LMU, München. Sie kommt ursprünglich aus Paraguay und lebt derzeit bis zum Ende ihres Studiums in München.
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