Willi Geiger – Werkbeschreibung IV
On 20. August 2024 by FranziskaFür das Sommersemester 2024 entstand eine Kooperation zwischen dem Archiv Geiger und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen der Übung „How to Werkbeschreibung“ lernten Studierende der Kunstgeschichte anhand von Originalen von Willi Geiger, das Handwerk einer Werkbeschreibung. Fast alle Studierende befanden sich im Bachelor-Studium, betreut wurden sie von Dr. des. Helene Roth der LMU sowie von Julia Geiger und Franziska Straubinger vom Archiv Geiger.
Werkbeschreibung von Polina Kocherzhynska
Beide Werke wurden 1948 in Landshut sowie 1991 in Prien und Landshut ausgestellt.
Zwei gleichnamige Matadoren-Ölbilder wurden in den Jahren 1947/1948 geschaffen und gehören zum späteren Porträtwerk von Willi Geiger. Die beiden Stierkämpfer sind zum jetzigen Stand der Forschung nicht identifiziert. Jedoch ist zu vermuten, dass Geiger sie wohl kannte. Auf dem Gemälde von 1947 wird ein Matador in dynamischer Halbumdrehung dargestellt. Seine rechte Hand ist gehoben, in der linken trägt er ein rotes Tuch (la muleta). Der Kopf des Matadors ist etwas nach hinten geneigt, sein Mund in einer Art Aufschrei leicht geöffnet. Die geröteten, angestrengten Augen ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Licht-und-Schattenkontrast verdeutlicht deren leichte Übergröße gegenüber dem Gesicht. Die unsichtbare Lichtquelle kommt partiell von der rechten Oberkante des Bildes. Eine pinke Krawatte (la pañoleta) betont die traje de luces, die traditionelle Corrida[1]-Kleidung. Die rosa Farbe symbolisiert im Stierkampf das Glück. Die pañoleta, ähnlich wie die weiß-roten Augen des Mannes, steht im Kontrast zum verdunkelten, weißen Hemd (la camisa). Willi Geiger gibt das Trachtoberteil getreu wieder: So malt er sehr detailliert die leuchtend silbernen Schulterpolster (les epaulettes), die als Schutz der Matadorenjacke (la chaquetilla) angenäht sind. Auf dem in rosa-braun gehaltenen Hintergrund ist kein Publikum bzw. kein Verweis auf einen Ort zu sehen, somit wird die Aufmerksamkeit vollständig auf das Porträt gelenkt.
Der Matador, eine Zeichnung Geigers von 1950, kann insofern als Erweiterung des Gemäldes betrachtet werden als der Künstler rechts von einem ähnlich aussehenden Stierkämpfer fügt der Künstler einen besiegten Stier hinzu. Dies lässt vermuten, dass auch auf dem Ölgemälde ein triumphierender Moment dargestellt wird.
Auf dem Ölgemälde von 1948 wird der Matador wiederum im linken Profil dargestellt. Er schaut ruhig. Vielleicht blickt er zum Publikum. Die zusammengepressten Lippen und die etwas gehobenen Augenbrauen verdeutlichen seine Anspannung vor dem Kampf. In den Händen trägt der Protagonist einen typischen Matadorenhut (la montera), in der Ellenbeuge einen Degen (la espada). Die Kleidung ähnelt derer des ersten Matadors. Diese glänzt jedoch nicht nur an den Schulterpartien – die ganze Tracht wirkt versilbert und ist ebenfalls wieder sehr detailliert wiedergegeben. Die pinkepañoleta blitzt unter dem Hemdkragen hervor. Obwohl die Lichtquelle schwerer zu definieren ist, scheint das Kostüm zu leuchten. Gleich wie im ersten Gemälde ist die Pinselführung sehr dynamisch und in breiten Strichen gehalten. Im Hintergrund dominieren Töne in braun-rosa, welche im Kontrast zum Matador stehen.
Die beiden Matadore befinden sich in unterschiedlichen Zeitpunkten des Stierkampfes. Wie ist aber die Corrida aufgebaut? Die Wurzeln von diesem mittlerweile umstrittenen Spiel und Wahrzeichen Spaniens liegen im 18. Jahrhundert. Es besteht aus drei Akten (tercios): Bei den ersten zwei (tercio de varas und banderilleros) wird der Stier mithilfe eines großen Tuchs (capote), das außen rot und innen gelb ist, in der Arena gejagt. Die Lanzenreiter (los picadores) greifen den Stier an (capotazos), damit ihn die Kämpfer (los banderilleros) mit kurzen Lanzenstichen verletzen können. Im dritten und letzten Akt (la faena) hat der Matador seinen Auftritt. Ziel ist es, den Stier mittels eines dunkelroten Tuchs (la muleta) quer durch die Arena zu jagen, ihn dabei zu schwächen und ihm schließlich mit dem Degen einen Todesstoß ins Genick zu setzen (la estocada). Bei Erfolg feiert der Matador seinen Triumph in der jubelnden Arena.
Willi Geigers Matadoren müssen also von der Chronologie her umgekehrt betrachtet werden. Auf dem Bild von 1948 befindet sich der Matador noch vor dem Kampf. In seinen Händen, fast wie in einer Gebetshaltung verschränkt, hält er seinen Hut fest. Er tritt mit ruhigem Blick in einer Art Andacht bzw. Anbetung dem Publikum gegenüber. Die Andacht geschieht vor dem Kampf und ist meist den Zuschauern gewidmet. Im Inneren des Matadors verbirgt sich womöglich ein breites Spektrum von Gefühlen. Denn der Stierkampf kann nur mit großer Geschicklichkeit gewonnen werden. Trotz der ständigen Übung ist der positive Ausgang nie eine Garantie. Der Matador befindet sich somit vor einem ungewissen Ausgang und hält diese Ungewissheit mit einer stolzen Stoik aus. Vor dem Publikum Angst zu zeigen, ist jedoch nicht zulässig.
Das Bild von 1947 zeigt hingegen den Matador in den ersten Momenten nach dem Kampf. Zu diesem Zeitpunkt drückt er seine Emotionen offen aus. Das Gesicht zeigt eine Erleichterung und Euphorie – die aber hart und lang erkämpft ist. Die roten Augen sind noch ganz im Kampf versunken, während der Matador triumphierend den rechten Arm nach oben reißt.
Das unsichtbare Publikum und die Arena werden durch reale Betrachter*innen ersetzt. Dies ermöglicht einen individualisierten und sogar isolierten Blick auf die dargestellten Stierkämpfer. Es entstehen zwei Gefühle: Zweifel, ob diese mental-physische Opferbereitschaft sich wirklich lohnt und Begeisterung, mit welcher Selbstbeherrschung die Matadore diese Anstrengung auf sich nehmen.
War Willi Geiger ein Befürworter oder Gegner vom Stierkampf? Ihn begleitete und faszinierte dieses Thema lebenslang. Wahrscheinlich inspiriert durch Francisco de Goyas La Tauromaquia (1814–1816), schuf er unter anderem sechs Bildbände mit Stierkampfradierungen (1907–1924).
Dort gab er fast akribisch das Geschehen in der Arena wieder – eine aufregende und dynamische Konfrontation der Kräfte, ganz im Sinne der Darstellungen Goyas. Die Gegenseite von dieser Romantik war Geiger auch bekannt. Durch die Bekanntschaft mit dem berühmten Torero Juan Belmonte, den Geiger in seinen Memoiren erwähnte,[2] wurde ihm bewusst, dass Stierkämpfer in der Arena eine lebensgefährliche Aufgabe ausüben. Belmonte wurde 24-mal verletzt, während sein Kollege Joselito durch den Hieb eines Stierhorns starb. Im Ölgemälde Für den Stierkämpfer Juan Belmontevon 1958 zeigt Geiger diese Bitterkeit. Der mittig platzierte Stier schaut mit leerem Blick. Der Stierschädel zu seiner Linken symbolisiert womöglich den Erfolg, während der tote Matador ein Hinweis auf Verlust sein könnte. Der Stier bildet somit eine Brücke zwischen beiden möglichen Ausgängen der Corrida.
Die „ungeheuerliche Herausforderung des Todes“,[3] wie Willi Geiger die Corrida in seinen Memoiren nannte, faszinierte ihn. Gleichzeitig hinterfragte er das Idealbild eines Matadors. In seinem Traktat „La Corrida – Tragédie et art plastique“ von 1952 zählt der Corrida-Theoretiker Auguste Lafront die Eigenschaften des Matadors auf.[4] Er behauptet, ein Stierkämpfer müsse jegliche Angst beiseitestellen, denn ein Stier kenne und respektiere keine Regeln. Die einzige Lösung im abgeschiedenen tête-à-tête wäre, dem Tier die menschliche Überlegenheit zu zeigen. Auch im Falle des Todes werde er zu einem Helden. Willi Geigers Matadoren sind mit solchen Charakteristika ausgestattet: beide strömen eine innere Stärke aus, die ihre Angst vor dem großen und gefährlichen Tier beherrschen kann.
Die Matadorenbilder Willi Geigers sind Porträts, jedoch keine gewöhnlichen. Durch die bekannte Tradition des Stierkampfes fand Willi Geiger eine neue Wahrnehmungsperspektive, einen emotionalen und individualisierenden Zugang zur spanischen Kultur.
Zu der Autorin: Polina Kocherzhynska kommt aus der Ukraine und studiert im Master Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der mittelalterlichen und modernen Architektur sowie der englischen Malerei des 19. Jahrhunderts.
[1] Corrida ist das spanische Wort für „Stierkampf“
[2] Geiger, Willi: Der offene Horizont: Lebenserinnerungen von Willi Geiger, Landshut 1996, S.125.
[3] Ebd, S. 71.
[4] Lafront, Auguste: La Corrida – Tragédie et art plastique, Paris 1952.
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