Rupprecht Geiger Werkübersicht #8: 666/73, 1973 (WV 644)
On 27. August 2014 by FranziskaEin Beitrag von Franziska Straubinger
„[…] Der Auftrag der Farbe soll die Farbe selbst charakterisieren, etwa so daß ein leuchtendes Rot schwebend auf der Fläche erscheinend, von hell nach Tiefe abgewandelt, das Materielle überwindet.“ (Rupprecht Geiger, 1950)
Was Geiger 1950 in einem Tagebucheintrag fordert, kann er ab ca. 1965 mit der Luftdruckspritzpistole erzielen. Dieser neue Farbauftrag hilft ihm, feinere Graduierungsstufen innerhalb der Farbe zu erlangen. In den Jahren zuvor nutzt er bereits ab und zu Sieb und Pinsel, um die Farbe durch die feinen Maschen des Siebes auf den Farbträger zu spritzen. Mit der Luftdruckspritzpistole können makellose Modulationen auf größeren Formaten erzeugt werden. Während der Arbeit mit diesem neuen Werkzeug in einem abgeschirmten Raum trägt der Künstler grundsätzlich eine Maske, da sich die Farbpigmente überall als feine Staubschicht absetzen. Die neue Technik erfordert vom Künstler zwar eine höhere Konzentration denn die Pistole muss in gleichmäßigen Zügen über den Träger geführt werden, um einen ebenmäßigen Farbauftrag zu erlangen – doch das Ergebnis ist eine nahezu fehlerfreie Farbabstufung.
Die Faszination Geigers für die Sprühtechnik liegt im schwebenden, im Blick des Betrachters vibrierenden Endergebnis des Farbauftrags, mit dem er seinem Ziel, die Farbe an sich darzustellen, näher kommt. Da die angemischte Farbe ohne Kraftaufwand, d.h. ohne Druckausübung des Pinsels, sondern gezielt über die Luft auf den Bildträger gelangt, bleibt sie allein auf dessen Oberfläche haften und dringt nicht in das Material ein. So wird der ‚schwebende‘ Eindruck der Farbe verstärkt.
Auf dem 150 x 140 cm großen Werk 666/73 breitet sich im Blick des Betrachters ein von innen quellender, für den Künstler typischer Kreis aus, dessen Ränder an der Seite schier aus dem Rahmen zu platzen drohen. Grund für diese optische Illusion ist der sich nach innen hin auflockernde Farbauftrag: das kräftige Orange verdichtet sich nach außen. Das Flimmern und Vibrieren des Farbkorpus verstärkt sich zusätzlich durch den pinken Kranz, der die Kreisform umläuft und sich nach außen hin auf dem weißen Hintergrund verflüchtigt. Die feine und fließende Modulation der Farbe, die Geiger mittels der Luftdruckspritzpistole erzielen konnte, unterstützt die austretende Bewegung der Farbe.
In der Kunst stehen Farbe und Form insofern in einem dialektischen Verhältnis zueinander, als Farbe aufgetragen immer schon geformt ist. Formen dagegen setzen sich gerade in ihrer Farbigkeit voneinander ab. Im Blick des Betrachters ringen beide um die ‚Vormachtstellung‘: während der Betrachtung drängt sich im ersten Augenblick nämlich einmal mehr die Farbe oder die Form näher auf und nicht beide vollkommen simultan.
An diesem Werk wird die Problematik dieser dialektischen Beziehung von Farbe und Form im Schaffen Geigers veranschaulicht: einerseits drängt sich die Farbe dem Betrachter in ihrem Hervorquellen auf, andererseits aber entsteht dieses Quellen durch die Form, die die Farbe zusammenhält. In der Farbe entsteht ein Raum, der durch die Form, also der Zeit, im Bewusstsein des Betrachters erst entsteht. Dieser fortlaufende dialektische Widerstreit entsteht kontinuierlich im Blick des Betrachters und ist das, was das Werk schließlich ausmacht und konstituiert.
Das in den Bann ziehende Werk muss auch für Rupprecht Geiger ein Faszinosum dargestellt haben, da es fast 30 Jahre lang im Wohnzimmer des Künstlers hing und er sich selbst immer gerne vor seinem „Heiligenschein“ fotografieren ließ.
Zitierweise: Harder, Franziska: Werkbeschreibung 666/73, 1973 (WV 644) [27.08.2014], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).
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