Das Archiv Geiger – ein Gesamtkunstwerk
On 17. März 2022 by MariaEin Beitrag von Franziska Straubinger zum Tag der Archive
Einige von euch haben uns bereits das eine oder andere Mal im Archiv Geiger besucht und dabei die ehemaligen Atelierräume von Rupprecht Geiger (1908-2009) kennengelernt. Viele vermuten dabei, dass Geiger diesen Bau selbst gestaltet hat, zumal er von Beruf Architekt war und bis Anfang der 1960er-Jahre als solcher arbeitete. Tatsächlich war es aber Detlef Schreiber – Architekt, Sammler und Freund Geigers – der dieses Gebäude gestaltete.
Hier möchten wir euch zu einem kleinen „Rundgang“ durch das Archiv mitnehmen.
Baugeschichte der Atelierräume von Rupprecht Geiger
Detlef Schreiber (1930-2003) kam über seine Begeisterung für die Kunst zu Rupprecht Geiger und war zuerst Sammler, dann ein Freund. Geiger beauftragte ihn 1974 damit, sein neues Atelier auf seinem Grundstück in München-Solln zu bauen. Hier wohnte dieser seit Anfang der 1950er-Jahre. Schreiber stellte den Atelierbau 1976 fertig, pünktlich zu Geigers Rückkehr aus dem Rheinland. Dort war er seit 1965 Professor für Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf.
Der Bau fand basierend auf einem 6 x 6 m Quadratraster seine Form, wobei die längste Flanke im Osten 30 m lang ist. Sichtziegel und viel Holz zeichnen das Gebäude mit Flachdach weiter aus. Geiger arbeitete täglich bis zu seinem Tod im Dezember 2009 dort.
Das ebenerdige Atelier enthält einen Clou: damit Geiger an seinen großen, teils monumentalen Werken arbeiten konnte, wurde das Kellergeschoss im Hauptraum nach oben geöffnet, um einen geräumigen, hohen Arbeitsraum zu schaffen.
Die großen Fensterfronten mit horizontalen Sprossen lassen viel Licht in die Räume. Zudem reguliert der eingewachsene Garten mit großem Baumbestand mit den Jahreszeiten den Lichteinfall und damit das Raumklima:
- im Winter, wenn die Bäume nicht belaubt sind, kommt möglichst viel Licht hinein,
- im Sommer, wenn sich der Garten in einen grünen Dschungel verwandelt, lässt es sich im kühlen Atelier gut arbeiten.
1989 wurde das Atelier mit einem Anbau in gleicher Bauweise im Osten des Gebäudes erweitert. In diesem Raum begrüßen wir heute unsere Besucher:innen!
Rupprecht Geiger arbeitete nach Fertigstellung täglich viel in diesem Bereich, deshalb nennen wir Archiv-Mitarbeiterinnen diesen Ort „Rupprechts Arbeitszimmer“.
Kuriositäten und Farbe – Inspiration zu Rupprecht Geigers „Geist und Materie“
Und tatsächlich finden sich hier bis heute viele Spuren seines kreativen Schaffens: an der Ostwand steht ein langer, schmaler Tisch aus Massivholz. Diesen hatte Geiger 1926 im Rahmen einer Studienfahrt im italienischen Trevi in einem alten Kloster gesehen und nach seiner Rückkehr nachgebaut. Hier reihen sich verschiedene, kuriose Objekte:
- ein toter Frosch,
- ein präparierter Hechtkopf,
- Dichtungsschaum-Formationen,
- Fundstücke aus der Natur,
- Farbreste
– es gibt viel zu entdecken! Dies sind alles Gegenstände, die Geiger angesprochen haben und ihm zur Inspiration dienten. Daraus entwickelten sich dann auch seine Gedanken zu „Geist und Materie“, wie er es nannte, bei der er Farbe (Geist) und „tote“, amorphe Gegenstände (Materie) einte, um die Farbe noch stärker zum Leuchten zu bringen. Dies reifte schlussendlich in die gleichnamige Gemälde-Werkgruppe von 2003/04. Für diese verband er seine typischen Tagesleuchtfarben mit einer ungrundierten Leinwand. Dabei aktiviert das sichtbare Grau der „rohen“ Leinwand die Farbe noch mehr.
Künstlerische Praxis
Als Geigers Werke ab Anfang der 1980er Jahre immer monumentaler wurden, konnte er den bereits erwähnten Emporenraum zum Arbeiten nutzen. 2001 erhielt er den Auftrag, den deutschen Pavillon zur XXV. Bienal de São Paolozu gestalten. Dafür malte der damals 93-Jährige seine letzten Großformate. Er nutzte dazu die Fläche, der über zwei Stockwerke durchgehenden, fünf Meter hohen Wand. Es entstehen vier Leinwände, alle jeweils um die 3 x 4 m groß, die der hochbetagte Künstler gewissermaßen in einem Fortgang malen musste. Um ihm diese Arbeit zu erleichtern, wurde eigens dafür ein Stuhl gebaut, der dank Hydraulik Geiger von oben nach unten arbeiten ließ.
Als letzter, wichtiger Raum im ehemaligen Atelier (den wir auch „Schatzkammer“ nennen) findet sich im hinteren Keller der Pigmentraum. Hier lagern die letzten Original-Pigmente, die Rupprecht Geiger zu Lebzeiten in großen Mengen bestellt hatte. Sobald man diesen Raum betritt, ist man umgeben von Farbe:
- aus den Tonnen leuchten die pulverfeinen Pigmente,
- am Boden und an den Wänden sind überall bunte Arbeitsspuren des Künstlers zu sehen.
Doch das sind nicht die einzigen „Farbkleckse“ in diesem Raum; wenn man genauer hinsieht, finden sich viele verschiedene Kuriositäten: Ein leuchtoranger Schulranzen oder ein feuriger Gockel – Geiger fand großen Gefallen an leuchtenden Gegenständen aus dem Alltag. Mal wurden sie ihm geschenkt, mal überzeugte er den/die Besitzer*in mit seiner charmanten Art dazu, ihm das „Objekt der Begierde“ zu überlassen.
Das Land-Art-Objekt „Nest“ von Rupprecht Geiger
Ehe ihr nun Geigers ehemaliges Atelier wieder verlasst, gibt es noch ein letztes Kuriosum im Garten zu entdecken:
Ab Mitte der 1990er-Jahre baute Rupprecht Geiger an einem Land-Art-Objekt im jetzigen Vorgarten des Archivs Geiger. Stöcke und Laub wurden von ihm so geschichtet und ineinander verwoben, dass sie ein überdimensioniertes Nest bildeten. Hin und wieder berichten uns Besucher*innen, dass sie Geiger bisweilen bei einem Spaziergang zufällig bei seinem „Nestbau“ beobachten konnten. Zeit und Witterung haben dazu geführt, dass diese kreative Freizeitbeschäftigung des Künstlers nach seinem Ableben nicht mehr erhalten ist, ein paar Fotos lassen die Erinnerung aber aufblühen:
Foto: privat/Archiv Geiger, München
Das Archiv Geiger – ein Gesamtkunstwerk
Die von Schreiber verwendeten Materialien, des Backsteins im Mauerwerk, des Holzes in den Fensterrahmen und im Dielenboden, tragen zu einer schlichten und warmen Atmosphäre innerhalb der Räume bei. In Kombination mit den kraftvollen Farben Geigers, entsteht im Ganzen – bei den Kunstwerken und bei der Architektur selbst – eine wunderbare Interaktion, ganz im Sinne des Geiger’schen Gedanken zu „Geist und Materie“.
Der Beitrag erschien erstmals unter: Archive in München, Das Archiv Geiger – Symbiose von Architektur, Materialität und künstlerischer Praxis Rupprecht Geigers | #TagderArchive ein Beitrag zum Tag der Archive – Blog-Slam zum Thema „Daten, Fakten und Kuriositäten“.
Titelbild: Archiv Geiger, München
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