Rupprecht Geiger und Ekkeland Götze – Geist und Materie II
On 29. Juli 2024 by FranziskaEin Beitrag von Franziska Straubinger
Für Teil I hier entlang!
Die druckgrafischen Werke aus der bereits erwähnten Geist-und-Materie-Serie, die um 2003/2004 entstand, zeichnen sich dadurch aus, dass Geiger seine Leuchtfarben – dem „Geist“ – u.a. mit den fahlen, „morbiden“ Farbtönen roher Leinwand – „Materie“ – kontrastiert. Innerhalb dieser Serie entstehen sechs Gemälde, sowie drei von Götze gedruckte druckgrafische Editionen. Wie in den 1950er Jahren die partiell eingesetzten Tagesleuchtpigmente von Geiger im Sinne eines „Exponenten“ genutzt wurden, so dient nun fast 50 Jahre später die rohe Leinwand oder das Schwemmholz als solches, weil es in der Konfrontation die Leuchtkraft der Farbe noch stärker hervortreten zu lassen scheint. Denn genau an den Stoßstellen dieses Aufeinandertreffens entsteht eine ungeheure Spannung, die im Blick des Betrachters sich exponentiell zu erhöhen vermag.
Ein Zitat des Künstlers aus einem Interview mit Wilhelm Warning von 2003 unterstreicht dies noch einmal deutlich:
„Die Farben der Materie sind ganz morbid und normal für mich abstoßend, aber in der Funktion, die Leuchtfarbe noch zu erhöhen ganz wichtig, weil sie (die Farben) gerade vor einem morbiden Hintergrund – altes Holz, Baumrinde, usw. – kolossal emporgehoben werden. Umgekehrt wird das Morbide noch morbider. Der Kontrast wird immer größer und immer stärker. Aber in einem guten Sinne funktioniert die Reibung, v.a an den Stoßstellen. Materie gegen den Geist der Farbe.“
Den Geist der Farbe sieht Geiger in der Farbe, die vom Bild abstrahlt, im Licht schwebt und nicht materiell gebunden ist. Dieses Phänomen erscheint z.B., wenn man unfokussiert auf ein Werk Geigers blickt. Die Farbe beginnt sich vom Bildträger abzulösen und man erkennt nun nicht mehr die Farbpigmente – die Materie – sondern das Leuchten selbst. Der Bildträger wird als solcher fast nicht mehr wahrgenommen, die Farbe tritt in ihrer Leuchtkraft in den Vordergrund.
Um den gewohnten Blick aufs Bild weiter aufzubrechen, wendet sich Geiger im Rahmen der Geist-und-Materie-Werkgruppe auch wieder dem unregelmäßigen Bildformat zu, das er bereits in einer Werkgruppe vor 65 Jahren, 1948/49, verwendet.
Die Formenvielfalt im Werk wird – wie schon damals – zugunsten der Farbe in den Hintergrund gedrängt, weil das Werk selbst als Form auftritt. Zwei der hier ausgestellten Gemälde sind in diesem Stil des „shaped canvases“ geschaffen. Sie treten fast schon grafisch auf: runde und rechteckige Formen scheinen zufällig aufeinanderzutreffen und wachsen über die reguläre Leinwandkante hinaus. Durch die Größe der Werke wachsen sie auch aus dem Blickfeld des Betrachters hinaus. So legt sich beispielsweise bei dem gelben mittigen Werk ein hängendes Kreissegment in Gelbtönen moduliert mit rechteckigem obigen Abschluss von links kommend unvermittelt auf die unbehandelte Leinwand. Oder bei der Arbeit „md. Pinc“ wird die Farbe von zwei flankierenden Flächen unbehandelter Leinwand in eine dynamische Diagonale „gespannt“.
Auch in der Druckgrafik entstehen zeitgleich eine gleichnamige dreiteilige Edition „Geist und Materie“, bei der die Farbe im Siebdruckverfahren auf unbehandelte Leinwand gesetzt wurde um auch in diesem Medium mit dem Prinzip der gegenseitigen Steigerung von Geist und Materie zu arbeiten.
Eine weitere Stufe der Abstraktion ist in einer weiteren ausgestellten Edition aus der Druckgrafik zu erkennen: die „Neue Edition“ von 2001 besteht aus vier Collagen. Die Siebdrucke wurden zu einer Farbform collagiert, wobei wenn man genau hinsieht erkennt man, dass das gestreifte Element auch im Siebdruckverfahren entstanden ist. Die im Entwurf vom Künstler eingesetzte Wellpappen-Schraffur wurde als Siebdruck abstrahiert dargestellt und ist in jeder dieser vier Arbeiten in unterschiedlicher Nuancierung wiedergegeben.
Serie Die neue Edition – Motiv 1-4 (WVG 209-212), 2001; Serigrafien mit Originalpigmenten/BFK Rives, 300g und Arches Aquarell, 640 g collagiert auf säurefreiem Archivwellkarton, 4,5 mm; je 119 x 102 cm ; Walter Storms Galerie, München; Druck: Ekkeland Götze, München, Foto: Florian Seidel, München
Geiger spitzt die Kombination von toter Materie und vitaler Farbigkeit in seinen letzten Schaffensjahren nochmals zu, als er beispielsweise eine leuchtpinke Leinwand mit Baumrinde oder gar einen Baumstamm kombiniert oder Fundstücke aus der Natur und dem Alltag – Baumrinde, Schleifpapier, Stoffreste – zu bunten Collagen und Assemblagen zusammenstellt. Die Erstellung der Collagen und Assemblagen hatte sicherlich auch eine starke spielerische Komponente, die dem hochbetagten Künstler in dieser Zeit eine experimentelle Herangehensweise an das Thema ermöglichte. Die ausgestellten Werke in der aktuellen Präsentation sind mit Geigers Signatur als fertige Werke anzuerkennen.
Die Beschäftigung mit dem Farbkontrast zieht sich wie ein roter Faden durch Geigers gesamtes Oeuvre. Ob durch Farbverläufe auf archetypischen Formen, wie Rechteck und Kreisform, die vor unseren Augen verschwimmen, oder unregelmäßig geformten Leinwänden, die gleichsam unser Blickfeld zu sprengen scheinen, oder den Kontrast von Tagesleuchtpigmenten und roher Leinwand. In all diesen „Übungen“ dekliniert Geiger Farbe in ihren Erscheinungsformen durch.
Diese Konstanz kulminiert im Gedanken des „Portraits der Farbe“. Was damit gemeint ist, wird deutlich in den Überlegungen, die Geiger zum Thema „Geist und Materie“ anstellt.
1975/78 schon äußert sich Geiger zum Verhältnis von Geist und Materie. Damals unterscheidet er noch zwischen geistiger und materieller Farbe: die materielle Farbe als die aufgetragene und die geistige als die vom Werk Abstrahlende. Die materielle Farbe als das aufgetragene, in Acryl gebundene Farbpigment und die geistige Farbe, die im unfokussierten Blick von der Leinwand austritt.
In seinen letzten Schaffensjahren begreift Geiger dann das Wesen der Farbe eben als das abstrahlende Geistige. Für ihn bildet das Materielle der Farbe die Grundlage, doch das Entscheidende, das Wesen der Farbe, was es im „Portrait der Farbe“ einzufangen gilt, ist „Das sich von der Farbmaterie absondernde Farblicht“1.
Geigers Werke machen also die Farbe in ihrer Bewegung sichtbar, in den Spannungen, die sich zwischen „Geist und Materie“ ergeben und zu einem lebendigen Ganzen führen.
Das Aufeinandertreffen der Arbeiten von Geiger und Götze hier im Archiv Geiger steht zum einen ganz im Sinne des Gedankens von „Geist und Materie“, denn die Erdbilder Götzes lassen im Dialog Geigers Farben noch mehr leuchten und gleichzeitig wird die Struktur in Götzes Werken im Gegensatz zu den in sich fließenderen Farbmodulationen bei Geiger stärker thematisiert.
Auch wenn die Erdbilder Götzes im Geiger’schen Sinne sich mit der „Materie“ beschäftigen, so haben sie durchaus auch eine starke „geistige“ Komponente. Die Erde wird nicht lediglich als reines Pigment, als Farbe, genutzt, sondern ist mit ihren mineralischen, organischen und anorganischen Bestandteilen eine Kulminierung des Lebens selbst.
Die Erden werden nicht portraitiert, vielmehr portraitieren sie sich selbst und da der Künstler auf das Ergebnis keinen Einfluss nehmen kann, zeigen sie ein Bild ihrer selbst und in ihrer Gesamtheit ein Bild der Erde, ein Bild unserer Erde. Somit gehen Geist und Materie in Götzes Erdbildern eine Synthese ein, während sie bei Geiger nebeneinander existieren und auf einander Einfluss nehmen. Dies wird schlussendlich in der Betrachtung der Werke dieser beiden Künstler deutlich: bei Geiger wird die Farbe, also der „Geist“, durch die Materie verstärkt um sich den Betrachtenden direkt und im Idealfall isoliert zu präsentieren, während die Erdfarben Götzes bei der Betrachtung eine ganz andere Wirkung haben: zum einen registriert man, die teilweise tiefen und dunklen oder die zarten und leichten Erdtöne, gleichzeitig merkt man direkt, dass es nicht nur um das rein Gesehene geht; eine ungeheure Präsenz, die fast tönt, offenbart sich den Betrachter*innen.
Beiden gemein ist, dass sie beide etwas schwer zu Greifendes mit ihren Werken sichtbar machen möchten: sei es das „Portrait der Erde“ in all seiner Komplexität und Vielfältigkeit oder das „Portrait der Farbe“ um ihr „Wesen“ zu offenbaren.
Zitierweise: Franziska Straubinger: Rupprecht Geiger und Ekkeland Götze – Geist und Materie [24.07.2024], in: Archiv Geiger Blog LINK (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).
- Friedel, Helmut: Rupprecht Geiger: Das sich von der Farbmaterie absondernde Farblicht ist Geist der Materie, mit magischer Energie geladen [2005], in: Friedel, Helmut (Hrsg.): Texte zu Rupprecht Geiger, Ausst. Textband zur Ausst. Rupprecht Geiger. Malerei, Serigrafien, Modelle und Collagen aus sieben Jahrzehnten, Die Ausstellung zum 100. Geburtstag des Künstlers, hrsg. von Helmut Friedel, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 2007, München 2007, S. 82. ↩︎
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